Arbeitsintegration

Jede Geschichte ist anders

Vor zehn Jahren lancierte das SRK Kanton Zürich das Integrationsangebot Perspektive Arbeit. Von Anfang an dabei sind die beiden Freiwilligen Kathrin und Niel. Sie haben uns von ihren bereichernden Erfahrungen erzählt.
Porträt einer Freiwilligen von Perspektive Arbeit

Perspektive Arbeit unterstützt geflüchtete Menschen mit Bewilligung F, B oder S beim Berufseinstieg. «Ohne Unterstützung ist es sehr schwer», resümiert Kathrin. Sie begleitet aktuell als freiwillige Mentorin eine junge geflüchtete Mutter auf ihrem Weg in den Pflegeberuf. In ihrem Heimatland hat die Frau den Bachelor als Pflegefachfrau abgeschlossen, der in der Schweiz in einem längeren Verfahren geprüft und schliesslich nicht anerkannt wurde. Die Anerkennungsverfahren sind kompliziert, und das Abklären der Möglichkeiten, in der Schweiz als geflüchtete Pflegefachfrau in den Pflegeberuf einzusteigen, ebenfalls. 

Nächstes Ziel: eine Praktikumsstelle

Trotz schon guter Deutschkenntnisse ist es für die junge Mutter schwer, Abklärungsgespräche zu führen und ihre komplexe Situation zu erläutern. Kathrin unterstützt sie als Mentorin. Die Personen, welche Perspektive Arbeit in Anspruch nehmen, werden Mentees genannt. «Ich verstehe mich auch als Vermittlerin zwischen Ausbildungsplatz, Sozialarbeitenden der Gemeinden und anderen Fachstellen », erklärt Kathrin. «Meine Mentee und ich machen Telefonate manchmal miteinander und geben uns das Telefon hin und her», lacht sie. Sie treffen sich rund einmal wöchentlich, meist in den Räumlichkeiten des Roten Kreuzes in Zürich-Oerlikon. Das nächste Ziel ist es, für die junge Mutter eine Praktikumsstelle zu finden.

Es ist ein tolles Projekt. So viele fanden Arbeit, und es ist auch bereichernd für uns Freiwillige.
Kathrin, Rotkreuz-Freiwillige

Die erste Frau, welche Kathrin begleitet hatte, absolvierte den Lehrgang Pflegehelfende SRK. Kathrin ist pensioniert und war früher selbst als Pflegefachfrau für Kinder tätig. Sie unterstützte ihre erste Mentee beim Lernen des Schulstoffs, aber auch beim Deutschlernen. Danach stand sie ihr beim Suchen einer Arbeitsstelle zur Seite. Ihre Mentee fand eine Stelle in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung in Wetzikon, wo sie heute – zehn Jahre später – immer noch arbeitet. «Wir haben noch ab und zu Kontakt und sie ist mittlerweile Mutter von zwei Kindern», erzählt die Mentorin lächelnd. 

«Ich habe einen langen Schnauf, aber dass ich zehn Jahre Freiwillige im gleichen Programm bleibe, das hätte ich nicht gedacht », meint sie schmunzelnd. Sie habe an Erfahrung und Sicherheit dazugewonnen. Die Lebenssituation und Geschichten der Mentees seien aber jedes Mal anders. «Die schwierigen Situationen der Mentees sind manchmal auch für mich belastend. Man weiss nicht, was sie alles erlebt haben. Das Schöne ist aber, zu sehen, wie sie ihren Weg finden und Ziele erreichen. Und es freut mich immer auch, wenn ich etwas Weniges gegen den Pflegenotstand beitragen kann.

Auf dem Weg in die Eigenständigkeit

Perspektive Arbeit leistet einen wesentlichen Beitrag bei einer grossen persönlichen Weichenstellung, sodass sich eine geflüchtete Person oder Familie zukünftig selbstständig ernähren kann. Niel sagt lachend: «Dass aus einem Jahr als Freiwilliger zehn Jahre werden, das hätte ich nicht gedacht.» Er war lange Sozialpädagoge und ist jetzt als selbstständiger Berater tätig. Neben seiner Berufstätigkeit nimmt er sich Zeit für das soziale Engagement bei Perspektive Arbeit. «Die Mitarbeitenden des SRK Kanton Zürich machen es sehr gut und haben eine gute Einschätzung. Wenn sie eine Anfrage einer geflüchteten Person erhielten, die zu mir passte, meldeten sie sich bei mir. Wenn ich Kapazität hatte, sagte ich
zu», berichtet er.
 

Ich durfte mehrere Erfolge sehen – der Sinn von Perspektive Arbeit ist meine Motivation.
Niel, Rotkreuz-Freiwilliger
Porträt eines Freiwilligen in Winterthur

Gemeinsam Ziele festlegen

Beim ersten Gespräch des Kennenlernens ist immer eine Rotkreuz-Koordinatorin dabei und gemeinsam werden die Ziele festgelegt. Danach treffen sich die Teilnehmenden zu zweit meist wöchentlich für ein Jahr an einem Ort, den sie selbst wählen können. Die Gespräche finden auf Augenhöhe statt und das Ziel ist gleichzeitig, die begleitete Person zu befähigen für den ersten Schritt in die Arbeitswelt in der Schweiz. Für Fragen oder bei Unsicherheiten bleibt die Koordinatorin Ansprechperson und berät auch in schwierigen Situationen. Zusätzlich organisiert das Zürcher Rote Kreuz regelmässig grössere Treffen für alle Teilnehmenden, damit sie sich untereinander austauschen können und von den Erfahrungen gegenseitig lernen können.

Es sind sehr unterschiedliche Geschichten und Persönlichkeiten, die ich erlebt habe – unabhängig davon, aus welchem Heimatland die Menschen sind.
Niel, Rotkreuz-Freiwilliger

Niel begleitete schon eine Person, die nur bis zum Alter von zehn Jahren die Schule besuchen konnte. Sein aktueller Mentee hingegen hat ein abgeschlossenes Studium. «Ich verstehe mein Engagement als Aufgabe. Ich begleite den Einstieg in den Arbeitsprozess und es ist mir wichtig, zu Beginn die gegenseitigen Erwartungen zu besprechen. Ich glaube, das hilft allen Beteiligten», sagt der erfahrene Berater. «Anfangs weiss man oft noch nicht, in welche Richtung es geht. Es gilt gemeinsam zu erforschen, was möglich ist. Die meisten Mentees waren erst sehr vorsichtig und benötigten etwas Zeit, bis sie Vertrauen fassten. Das ist gleichzeitig das Schöne an dieser Aufgabe: die Beziehung, die entsteht, das Kennenlernen einer anderen Sichtweise, wie ein Mensch denkt und was ihm wichtig ist.» 

Praktische Unterstützung

Niel unterstützt auch bei Telefonaten, stellt Erstkontakte her und macht Empfehlungen bei Arbeitgebenden für ein Praktikum oder einen Schnuppertag. Auf Wunsch stellt er sich als Ansprechperson für Arbeitgebende zur Verfügung – das gibt manchen Betrieben die nötige Sicherheit, eine geflüchtete Person anzustellen. Bei all den vielfältigen Aufgaben: Kann man sich auch ohne so viel Erfahrung in diesem Projekt engagieren? Niel lacht: «Auf jeden Fall – wichtig ist, kommunikativ sowie offen zu sein und gemeinsam einen Weg zu suchen.»