Young Carers sind Kinder und Jugendliche, die im familiären Umfeld Aufgaben übernehmen wie beispielsweise die Betreuung kranker Angehöriger oder die Unterstützung der anderssprachigen Eltern bei Amtsgängen. Acht Prozent der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz betreuen eine aufgrund von Krankheit, Unfall, Beeinträchtigung oder Sucht pflegebedürftige nahestehende Person. Bei den Young Adult Carers, den 16- bis 24-Jährigen, sind es sogar 15 Prozent. So zum Beispiel Sarah Ferjani. Sie ist 20 Jahre alt, studiert Islamwissenschaften und Ethnologie und betreut gemeinsam mit ihrer Mutter ihren 56-jährigen Vater, der an einer Frontotemporalen Demenz erkrankt ist.
In der neusten Folge des Podcasts «Das kleine Glück schätzen» spricht Sarah Ferjani gemeinsam mit der Fachexpertin Prof. Dr. Agnes Leu und der SRF-Moderatorin und Journalistin Daniela Lager über die besonderen Herausforderungen und Wünsche junger betreuender Angehöriger. «Mein Vater versteht nichts mehr. Wenn ich ihm sage, er soll die Schuhe ausziehen, kann er damit nichts anfangen. Wir können kein normales Gespräch mehr führen, da er alles vergisst und seine Sprachkenntnisse sich sehr verschlechtert haben.», erzählt Sarah Ferjani. Tagsüber besucht er eine Tagesstruktur. Zweimal in der Woche holt Sarah Ferjani ihn dort ab, da er nicht mehr allein nach Hause laufen kann. Abends betreuen sie und ihre Mutter ihn zu Hause. «Mein Studienalltag ist vor allem dadurch eingeschränkt, dass ich immer direkt nach den Vorlesungen nach Hause rennen muss. Dank meiner Mutter konnte ich trotzdem mal reisen oder ausgehen. Jedoch zu ihren Lasten, da sie dann mit der Betreuung ganz allein war. Deshalb geschah das nie ohne schlechtes Gewissen, es hat mich immer sehr geplagt.»
Austausch als grosse Unterstützung
Um sich in dieser herausfordernden Situation mit anderen Betroffenen auszutauschen, hat Sarah Ferjani gemeinsam mit drei anderen jungen Frauen die mosa!k Gruppe der Young Dementia Carers in St. Gallen gegründet. «Zum einen geben mir die Gespräche mit meiner Mutter sehr viel Kraft und zum anderen die Gruppe der Young Dementia Carers. Es ist ein Teilen von gemeinsamen Erfahrungen und es hilft mir sehr zu wissen, dass ich nicht die einzige Person in dieser Situation bin. Denn im Alltag habe ich bisher noch niemanden getroffen, der dasselbe durchmacht wie ich.»
Wie es auch Sarah Ferjani beschreibt, ist es für Young Carers wichtig, dass sie über ihre Situation sprechen können und von Fachpersonen und ihrem Umfeld erkannt und unterstützt werden. Deshalb organisiert das Jugendrotkreuz Kanton Zürich seit Juli 2024 für Young Carers die Austauschtreffen Get-together, die zuvor als Teil eines Forschungsprojekts der Careum Hochschule Gesundheit in Zürich entstanden sind.
Eine Betroffene, die an den regelmässigen Treffen teilnimmt, bestätigt:
«Der Austausch ist sehr bereichernd, da sich jede Person in einem anderen Abschnitt befindet oder andere eigene Strategien gefunden hat. Diese vielen Inputs und Ideen zu erhalten, macht Mut und ist sehr wertvoll für mich.» Auch sie ist im Alltag durch die betreuenden Aufgaben, die sie übernimmt, stark gefordert: «Ich fühlte mich in meiner Situation allein und auch hilflos. Es ist für mich eine grosse Herausforderung, die oft auch in Überforderung übergeht. Zu wissen, dass man nach dem ganzen Studiumsalltag zu Hause nicht die Ruhe und Erholung finden kann, die man braucht, weil es eigentlich ständig etwas zu erledigen gibt. Sobald man das Haus verlässt, sich Gedanken zu machen und sich fragen zu müssen, wenn man mit Kolleginnen ausgeht, ob es zu Hause funktioniert oder man nicht doch besser daheim geblieben wäre, um zu unterstützen. Dies sind alles Sachen, die sehr ermüdend und mit einem dauerhaft hohen Stresspegel verbunden sind, der zu den Anforderungen im Studium dazukommt.»
Notwendige Sensibilisierung
Oft sind Young Carers für die Gesellschaft unsichtbar, da sie sich selbst nicht als Young Carers erkennen oder aus verschiedenen Gründen, wie beispielsweise Scham oder Angst vor Einmischung durch Ämter, ihre Situation verschweigen. Die Situation der Young Carers aufzuzeigen und Fachpersonen sowie die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, ist deshalb ein grosses Anliegen.
Trotz sehr guter Unterstützungsstrukturen in der Schweiz beurteilt Prof. Dr. Agnes Leu, Direktorin der Clinica Curativa und Mitinitiantin des Forschungsprogramms «Young Carers», die Sensibilisierung für dieses Thema in der Gesellschaft noch als unzureichend: «Auch Fachpersonen wie Lehrkräfte oder Spitex-Mitarbeitende wissen oft nicht, wie sie die Betroffenen ansprechen sollen, auch wenn sie Anzeichen erkennen.» Young Carers stellen die betreute Person häufig in den Mittelpunkt ihres Handelns, erklärt Agnes Leu. «Sie haben meist eine sehr enge Beziehung zur betreuten Person und organisieren ihr gesamtes Leben um diese Betreuungsaufgabe. Dadurch laufen sie Gefahr, ihre Bildungschancen nicht voll ausschöpfen zu können.»
Agnes Leu fordert mehr gesellschaftliche Anerkennung für Young Carers und betont, dass deren Situation als gesamtgesellschaftliche Herausforderung wahrgenommen werden sollte. Dies sei der erste Schritt, um resilienzfördernde Massnahmen für die Betroffenen zu entwickeln.