Philanthropie

Historische Vermächtnisse

Der Wunsch, Spuren zu hinterlassen, eint viele Menschen – sei es durch Werte, Ideen oder Taten. In diesem Artikel begegnen Sie visionären Frauen und Männern, deren Vermächtnisse bis heute nachwirken und Generationen inspirieren.
Bildausschnitt des Testaments von Alfred Nobel
Von Lea Moliterni, Verantwortliche Nachlass, Philanthropie und Historisches, SRK Kanton Zürich

Das Testament von Anna Seiler

An einem trüben Novembertag im Jahr 1354 verfasste Anna Seiler, die kinderlose Tochter eines Berner Ratsherren, ihr Testament. Ein Testament, das Folgen haben sollte. Und zwar bis heute. Seit jungen Jahren war sich Anna Seiler Umgang mit Kranken und Sterbenden gewohnt, war ihr um Jahrzehnte älterer Ehemann Heinrich Seiler doch Spitalmeister in Bern. Sie, die dereinst Wälder, Ländereien, Hofstätten samt Quellen und Tierbestand erben sollte, kannte die Nöte und Befindlichkeiten von Pflegebedürftigen. So wusste sie beispielsweise, wenn eine kranke Person nicht über die notwendigen Mittel für Bettwaren, Essen, Wein und Pflege verfügte, nach kurzer Zeit noch mehr erkranken und versterben würde – denn im mittelalterlichen Spital musste dafür selbst gesorgt werden. 

So stiftete Anna Seiler mit ihrem (heute noch erhaltenen!) Testament ein Spital für «13 bettlägerige und dürftige Personen », die– und das war zu jener Zeit eigentlich revolutionär – erst aus dem Spital entlassen werden durften, wenn «ein Pflegling wieder so zu Kräften kommt, dass er (…) keiner Spitalpflege mehr» bedürfe. Die Witwe ging aber noch einen bedeutsamen Schritt weiter: Sie stiftete nicht nur die Gebäude und Ländereien, aus deren Ertrag das Spital dauerhaft finanziert werden soll, sondern hielt auch fest, dass sich ständig drei Pflegende um die 13 Patienten zu kümmern hätten. Personal wie Pflegende sollten – und auch dies hielt Anna Seiler minutiös fest – insgesamt mit 16 Betten mitsamt Federkissen, Decken und 34 Leinentüchern und einer immer brennenden Feuerstelle ausgestattet werden. Und so wurde das gestiftete Spital, das gemäss Anna Seilers letztem Willen «ewig ohne Widerspruch bestehen bleiben» sollte, an der heutigen Zeughausgasse errichtet. Im Zuge der Reformation wurde das Spital dann 1528 in das ehemalige Dominikanerinnenkloster St. Michael in der Insel verlegt – Namensgeberin der heutigen Inselspital-Stiftung. Und rechtskräftige Nachfolgerin des Testaments von Anna Seiler von 1354.

Verantwortungsgefühl auch für künftige Generationen 

Diese Frau handelte aus der Praxis heraus. Anna Seiler, die um die Nöte und Bedürfnisse der besonders Vulnerablen wusste, nutzte ihr Wissen und ihr immenses Kapital, um langfristig einen Wandel herbeizuführen. 

Mittellose Kranke sollten nicht länger aussichtslos verelenden, sondern Pflege und Fürsorge erhalten, bis sie wieder gesund waren. Ob die Spitalmeister-Witwe damals ahnte, dass sie den Grundstein für das grösste medizinische Versorgungssystem der Schweiz legen würde? Dass ihre Werte und ihr Wissen rund um bedürftige Patientinnen und Patienten auch nach 670 Jahren noch immer Bestand haben? Zumindest schreibt die Inselspital-Stiftung, dass das (ergänzende) Reglement zum Testament von Anna Seiler noch heute das gültige Stiftungsdokument sei. Sicher ist ebenfalls, dass es heute die älteste noch existierende Stiftung der Schweiz ist – gestiftet zum Wohle von erkrankten Bedürftigen. 

Vermächtnis für den Frieden

Auch Katharina von Zimmern, bekannt als letzte Äbtissin des Zürcher Fraumünsters, entschied, der Nachwelt etwas zu hinterlassen, damit es Bestand haben sollte. Im Gegensatz zu Anna Seiler gehörte ihr das Fraumünsterkloster allerdings nicht. Dies war ihr jedoch als junge, hochadelige Frau von ihrem Vater zur lebenslangen Führung und Weitergabe an die nächste Generation anvertraut worden. Was sie nicht ahnen konnte, war die Dynamik, die ein gewisser Huldrych Zwingli auslösen sollte, der vom Kloster Einsiedeln herkommend nach Zürich berufen worden war. Spätestens mit seiner Stelle am Grossmünster ab 1519 verbreiteten sich seine reformatorischen Ideen wie ein Lauffeuer und begannen das spätmittelalterliche Zürich in seinen Grundzügen umzuwälzen. 

Auch wenn die Äbtissin den revolutionären Ideen Zwinglis zugetan war – so durfte er auch im Fraumünster predigen –, sorgte sie sich um den Frieden. Bereits brannten in den Nachbarkantonen erste Klöster. Nonnen und Geistliche wurden drangsaliert. Es drohte eine Spirale der Gewalt zwischen Gegnern und Befürwortern der Reformation. Und so entschied sich Katharina von Zimmern, deren Macht 28 Jahre lang weit über Zürich hinaus ragte, die Fraumünsterabtei an die Stadt Zürich abzutreten. Ein Blutvergiessen sollte damit verhindert werden. In ihrer Verzichtsund Übergabeerklärung von 1524 schreibt sie, dass «gar bald gross unruw unnd ongemach hette mögen bringen» und sie deshalb Kraft ihres Amtes «das tun welle, das ir lieb und dienst sye». Damit hinterliess die einst mächtigste Frau Zürichs zu Lebzeiten ein Vermächtnis für den Frieden.

Von ebenso wegweisender Bedeutung sind die weniger spektakulären Vermächtnisse, die im Verborgenen Geschichte schreiben.
Lea Moliterni, Historikerin

Das Testament von Alfred Nobel

Ein weiterer Akt von bedeutsamem Erbe für die Menschheit geht auf Alfred Nobel zurück. Doch viele, die jährlich mit Spannung nach Stockholm blicken, um mitzuverfolgen, wer einen der sieben Nobelpreise erhält, ahnen womöglich nicht, was die Hinterlassenschaft des schwedischen Dynamiterfnders mit Zürich zu tun hat – allen voran mit Henry Dunant, dem Gründer des Roten Kreuzes. 

Der ledige und kinderlose Alfred Nobel wusste zeitlebens, dass er seinen Reichtum, der aus der Dynamitproduktion stammte, der Allgemeinheit zur Verfügung stellen würde. Diverse testamentarische Entwürfe hatte er schon geschrieben, in denen er verfügte, dass die Zinsen seines enormen Vermögens jedes Jahr «in Form eines Preises an diejenigen gehen, die im vergangenen Jahr der Menschheit die grössten Dienste erwiesen haben». Und so sahen seine Testamententwürfe detailliert vor, dass jährlich Preise für Physik, Chemie, Physiologie und Literatur verliehen werden sollten. 

Preis für den Frieden

Als Alfred Nobel auf dem Weg nach Davos war, um sich von einem Lungenleiden zu kurieren, machte er wie so häufig Zwischenhalt im Zürcher Hotel Baur au Lac. Es gibt verschiedene Legenden darüber, wie sich Bertha von Suttner, damals schon eine sehr bekannte Pazifistin und für das Frauenstimmrecht kämpfende, verarmte Gräfin und einst treue (Lebens-)Gefährtin von Alfred Nobel, sich Zutritt zum Zürcher Nobelhotel verschaffte. 

Verbrieft ist, dass sie es war, die ihn zu überzeugen vermochte, nebst den Wissenschaften auch einen Preis für den Frieden zu stiften. Und sie wisse auch schon, wer ihn dereinst als Erster erhalten sollte: Er sollte ihrem guten Freund und Vertrauten verliehen werden, dem Genfer Henry Dunant, der Jahre zuvor das Rote Kreuz mitgegründet hatte. 

Was sich zwischen den beiden abgespielt hat, werden wir nie erfahren. Tatsächlich ergänzte Alfred Nobel 1895 seinen Entwurf um den Zusatz, dass «alljährlich jemand ausgezeichnet werden [soll], der sich besonders für die Verbrüderung der Völker, die Abschaffung oder Reduzierung von Armeen sowie den Frieden eingesetzt hat». 

Tatsächlich wurde 1901, nach dem Tod Alfred Nobels, dem umtriebigen Henry Dunant (zusammen mit dem französischen Pazifisten Frédéric Passy) der erste Friedensnobelpreis der Geschichte verliehen. Seine Förderin und Weggefährtin für Frieden, Bertha von Suttner, erhielt übrigens vier Jahre später, 1905, ebenfalls den Friedensnobelpreis. 

Persönliche Beratung

Von ebenso wegweisender Bedeutung sind die weniger spektakulären Vermächtnisse von nicht bekannten Persönlichkeiten, die im Verborgenen Geschichte schreiben. So sind es die vielen einzelnen Zuwendungen, die das Wirken vom Zürcher Roten Kreuz geprägt haben – und dies seit stolzen 135 Jahren. Wenn auch Sie möchten, dass etwas von Ihnen weiterwirkt, freue ich mich, Sie dazu persönlich zu beraten.